Donnerstag, 24. Februar 2011

AMANDA F*CKING PALMER oder: Revolution mal anders

Manchmal werden Revolutionen von Künstlern losgetreten, zumindest im Musikbusiness.
Amanda Palmer, sowohl Solo, als auch mit dem Punk-Cabaret Duo THE DRESDEN DOLLS unterwegs, war schon länger mit ihrem Label Roadrunner Records nicht mehr zufrieden. Ihr Image sollte zwanghaft verändert werden. Zusätzlich fühlte sie sich aber auch von ihrem Label alleingelassen. Doch wie es so oft in diesem Business ist, war auch sie an Verträge gebunden, aus denen man nur schwer aussteigen kann.
Also weitermachen wie bisher? Dies hat schon Bands wie ROSENSTOLZ zwar Erfolg, aber auch einen künstlerischen Absturz gebracht. Nicht so bei Amanda Palmer. Sie kämpft dagegen an. So wie sie es am besten kann: pointiert, ironisch, künstlerisch... und widmet bei ihren Konzerten ein Lied ihrem Label.





Erst im Frühjahr 2010 ist das fast Unmögliche passiert: Amanda Palmer kann aus ihrem Vertrag aussteigen und ist seitdem labellos. Eine freie Künstlerin - so wie sie begonnen hat.
Ihre Freude darüber kann sie nicht verbergen und so nimmt sie spontan den Song "Do You Swear To Tell The Truth The Whole Truth And Nothing But The Truth So Help Your Black Ass" auf und bietet ihn zum kostenlosen Download an. Etwas was ihr ihr Label bisher verboten hat.
Seitdem ist ihre Kreativität ungezügelt. Sie nimmt ein Album mit Songs von Radiohead auf, allerdings interpretiert auf der Ukulele. Sie entdeckt gemeinsam mit Jason Webley die Siamesischen Zwillinge EVELYN EVELYN, oder spielt in dem Musical CABARET den Conférencier.


Doch worin liegt jetzt die Revolution? Eine Künstlerin gewinnt gegenüber einem Major-Label und führt vielen ihrer KollegInnen vor Augen, dass langfristig nur Kreativität, Qualität und genügend Live-Präsenz das Überleben von Musikern in der Zeit von illegalen Downloads sichert.
So bietet sie ihre aktuellen Alben als Download selten über einen Dollar an. Aber sie geht noch einen Schritt weiter: Der komplette Backkatalog von ihrem Soloprojekt und THE DRESDEN DOLLS kann sich jeder Interessierte kostenlos und legal auf ihrer Bandcamp Seite herunterladen. 
Ein Schritt, der sicher nicht von jedem nachvollziehbar ist, aber wohl eine richtige Reaktion auf die Zeichen der Zeit.


Es lebe das Punk-Cabaret!

Mittwoch, 23. Februar 2011

BEKENNTNISSE - Kunst ist Provokation

Zum Start meines Blogs will ich hier einen Artikel wiedergeben, der 2009 in der Zauberfachzeitschrift magischeWelt erschienen ist. Er war mein Versuch meine Sicht auf die Zauberkunst, aber auch auf die Kunst im Allgemeinen zu Papier zu bringen.


Braucht die Zauberkunst überhaupt Provokationen? Dazu müssen wir erst einmal den Begriff „Provokation“ genauer definieren. Hergeleitet wird das Wort vom lateinischen provocare, was so viel wie hervorrufen bedeutet. Wikipedia bietet im Internet eine etwas ausführlichere Begriffserklärung: „Provokation bezeichnet das gezielte Hervorrufen eines Verhaltens oder einer Reaktion bei anderen Personen. Hierbei agiert der Provokateur bewusst oder unbewusst in einer Weise, dass die provozierte Person oder Personengruppe ein tendenziell erwünschtes Verhalten zeigt.“ Insofern hat Peter Grandt vollkommen Recht, wenn er schreibt, dass meine geschilderte Sandburg-Performance „...nur provozieren will,...“ Mit solchen Ideen will ich eine Reaktion hervorrufen und genau das habe ich anscheinend auch geschafft. Und auch dazu, dass diese Szene keine Aussage hat, stehe ich vollkommen. Denn Kunst muss nicht immer eine Aussage vermitteln. Denken wir nur an ein professionell geplantes Feuerwerk. Es ist einfach nur schön anzusehen. Oder als anderes Extrem die Aktionskunst, die oft nur schockiert. So verschieden beide Beispiele sind, so haben sie doch eines gemeinsam: sie transportieren keine Aussage, sondern im Mittelpunkt steht jeweils die Reaktion des Betrachters. Erst der Betrachter ordnet für sich das Gesehene ein und verpasst dem ganzen, wenn notwendig, einen intellektuellen Überbau (bei einem Feuerwerk erübrigt sich dieser „Überbau“ sowieso). Übertragen auf die Zauberkunst müsste das heißen, dass es zwar nicht schadet, wenn man eine Aussage transportiert, sie aber aus rein künstlerischer Sicht nicht notwendig ist. Es gibt viele verschiede Sichtweisen in der Kunst und wieso sollten wir uns gerade in der Zauberkunst einschränken lassen? Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass durch das viele Theoretisieren in den letzten Jahren eines oft vergessen wird: der Besuch einer Zaubervorstellung kann auch einfach „nur“ Spass machen. Wenn man einen Drei-Seil-Trick sieht, erfreut man sich daran, fühlt sich unterhalten. Dies benötigt dann nicht zwanghaft irgendeine Aussage. Trotzdem kann das ein unglaublich künstlerischer Akt sein. Drei Seile werden unterschiedlich lang, um dann wieder gleich lang zu werden oder umgekehrt. Punkt. Manchmal ist es so einfach. Hat so ein Kunststück weniger Berechtigung, nur weil es keine Aussage beinhaltet? Natürlich kann auch ein „einfaches“ Seilkunststück z.B. in der geschichtenerzählenden Zauberkunst mit einer bestimmten Aussage verknüpft werden. Aber unbedingt notwendig ist es nicht.
Denn nun kommt für mich einer der wichtigsten Elemente in der Zauberkunst: Ich will die Zuschauer berühren. Ich will eine Reaktion hervorrufen. Je nach Vorführstil kann diese anders aussehen. Ingo Oschmann will unterhalten. Derren Brown macht fassungslos. Alexander Merk bringt seine Zuschauer zum Träumen. Criss Angel polarisiert und ein Konrad Stöckel schockiert vielleicht. Eines ist aber der Tod jeder Kunst: Gleichgültigkeit! Gegen diese sollten wir ankämpfen. Die Leute können mich hassen oder das was ich mache, ablehnen, aber sie dürfen mir nicht gleichgültig gegenüberstehen. Das Problem vieler Zauberdarbietungen ist nämlich oft nicht nur die mangelnde (künstlerische) Qualität, sondern auch, dass viele Zauberkollegen nicht genau wissen, welche Reaktion sie auslösen wollen und wie sie zu dieser kommen. Die Sache wird noch dadurch erschwert, dass keine Tricktechnik, auch keine psychologische, dabei helfen kann. Die wichtigste Methode dabei ist nämlich Empathie, also das Einfühlen in unsere Zuschauer. Diese „Technik“ (falls man sie so nennen will) kann man aus keinem Buch und bei keinem Seminar lernen. Empathie kann man nur direkt im täglichen Umgang mit Menschen lernen, oder besser gesagt trainieren. Also gehen Sie hinaus! Lassen Sie alle Ihre Requisiten, Bücher und DVDs zu Hause liegen und treten sie mit anderen Menschen in Kontakt. Ich weiß, das passiert täglich, doch machen Sie es einmal bewusst. Hören Sie Leuten genau zu, was Sie ihnen zu sagen haben. Jedes auch noch so banale Ereignis hat einen emotionalen Kern. Und wenn Sie es schaffen, diesen für jede Person ganz und gar einzigartigen Kern zu erfassen, dann sind Sie auf dem richtigen Weg, eine der wichtigsten „Techniken“ für die Zauberkunst zu erlernen. Ganz und gar ohne Bücher und DVDs. Empathie ist natürlich keine Erfindung von mir, warum sie aber für die allgemeine Zauberkunst noch nicht in ihrer Gesamtheit erfasst wurde, ist mir ein Rätsel, denn in der Mentalmagie wird sie schon länger als „Technik“ eingesetzt.
Mir ist klar, dass dieser Weg die Zuschauer zu berühren nicht der einfachste ist, denn Einfühlung hat auch viel mit Selbsterfahrung zu tun. Wenn ich mit mir selbst und meinen Gefühlen nicht klar komme, wie will ich dann mit den Gefühlen fremder Personen klar kommen? Überlegen Sie einmal, wie viele Gefühle Ihnen einfallen. Es gibt mehr als Freude und Trauer. Es ist kein Geheimnis, dass in Schauspielschulen die Selbsterfahrung am Beginn jeder Ausbildung steht. Weshalb überspringen wir in der Zauberkunst diesen Schritt?
Was will ich also ganz persönlich mit der Zauberkunst bewirken? Der Kern des Begriffes Provokation ist der Schlüssel zur Antwort. Ich will eine Reaktion. Ich will die Zuschauer berühren. Ich will echte Gefühle zeigen, die wiederum Gefühle in den Zuschauern wecken. Kein Las-Vegas-Lächeln, keine billigen Gags und falsche Sentimentalität. All das hat auch seine Berechtigung auf der Bühne, aber es ist nicht mein persönliches Ziel. Ich liebe die Zauberkunst aber noch mehr liebe ich die Menschen, die mir zuschauen. Denn das Publikum ist keine homogene Masse. Jede einzelne Person hat seine eigene Geschichte... Doch das würde jetzt zu weit führen. Und in diesem Sinne lasse ich Sie jetzt mit Ihren Gefühlen alleine und verabschiede mich bis zum nächsten Mal.

(erschienen in magischeWelt Nr. 5/2009, leicht gekürzt und ohne Fußnoten hier wiedergegeben)